Alpha-Rang und Dominanz
Mythos vs. Wirklichkeit
Mythos vs. Wirklichkeit
Kannst du als Hundehalter auch ein Lied davon singen: egal, was dein Hund anstellt, ihm wird immer unterstellt, dass er sich über dich stellen möchte. Als Lösung wird dann geraten, dem Hund mittels harter Hand klarzumachen, dass er ganz weit unten – auf der letzte Sprosse – der Rangstufenleiter steht.
Wagt man es als Hundehalter, sich fürsorglich und liebevoll zu verhalten wie ein Elternteil, wird man ausgelacht und es wird einem an den Kopf geworfen, dass man seinen Hund vermenschlichen würde und ob er wohl Kinderersatz sei… Doch woher kommt der Dominanzgedanke? Er entstand bei der Beobachtung von Wölfen. Allerdings von Wölfen – und dies ist elementar – die in Gefangenschaft lebten. Das von diesen Wölfen damals gezeigte Verhalten lässt sich weder auf freilebende Wölfe, noch auf Haushunde übertragen. Bereits an dieser Stelle möchte ich Wolfsforscher David Mech zitieren:
"Dieser Ansatz ist vergleichbar mit der Beobachtung des sozialen Miteinanders von Menschen in einem Flüchtlingslager, um anschließend anhand der erhaltenen Daten Schlussfolgerungen zur sozialen Dynamik innerhalb einer menschlichen Familie zu ziehen. Die Meinung oder das Konzept, dass es einen Alpha-Wolf – den "top dog" gibt, der die anderen Rudelmitglieder, die im gleichen oder ähnlichen Alter sind, leitet und beherrscht, ist in besonderem Maße irreführend."
Obwohl der Wolfsforscher David Mech bereits 1999 aufgezeigt hat, dass das typische Wolfsrudel in einer Familienstruktur lebt und es innerhalb der Familie die Eltern sind, die die Aktivitäten der einzelnen Gruppenmitglieder so anleiten, dass ein strukturiertes System von Arbeitsteilung innerhalb der Gruppe entsteht, hält sich das auf gewaltvoller Unterdrückung basierende, hierarchische Dominanzkonzept immer noch hartnäckig.
Vielleicht lag es daran, dass es an einer gewissenhaften Übersetzung mangelte? Nun nicht mehr! Im Folgenden kannst den kompletten Artikel auf deutsch lesen, wir haben ihn für dich übersetzt. Den Originalartikel in englischer Sprache kannst du hier lesen oder herunterladen.
von David Mech
(übersetzt von Andrea Krengel im Rahmen unserer Ausbildung
zum Hundetrainer/-Verhaltensberater)
Kurzfassung: Die vorherrschende Meinung über ein Wolfsrudel (Canis lupus) ist, dass es sich um eine Gruppe von Tieren handelt, die untereinander um die dominante Stellung wetteifern und von einem Alpha-Paar zusammengehalten und geführt werden – dem Alpha-Männchen und dem Alpha-Weibchen. Das soziale Miteinander und die soziale Dynamik innerhalb von Wolfsrudeln wurden und werden intensiv erforscht. Bislang basierten die Forschungsergebnisse aber immer auf der Beobachtung von Wolfsrudeln, die in Gefangenschaft und somit nicht unter natürlichen Lebensbedingungen lebten. Ich beschreibe in diesem Artikel die Sozialordnung, wie sie in Wolfsrudeln zu beobachten ist, die nicht in Gefangenschaft – also frei – leben. Dies geschieht unter besonderer Berücksichtigung des Alpha-Konzeptes und dem sozialen Aspekt von Dominanz und Unterwerfung, unter Hinzunahme meiner aktuellen Forschungsergebnisse und -daten, die ich durch meine Literaturrecherche und die Beobachtung von Wölfen auf Ellesmere Island, in den Nordwest-Territorien in Kanada 13 Jahre lang jeweils im Sommer durchgeführt habe. Ich bin abschließend zu dem Ergebnis gekommen, dass das typische Wolfsrudel in einer Familienstruktur lebt. Innerhalb solch einer Familie gibt es die Eltern, die die Aktivitäten der einzelnen Gruppenmitglieder so anleiten, dass es zu einem strukturierten System von Arbeitsteilung innerhalb der Gruppe führt. Die weiblichen Wölfe übernehmen die Welpenpflege und verteidigen ihren Nachwuchs vor Gefahren, während die männlichen Wölfe für die Futtersuche und -beschaffung zuständig und somit viel unterwegs sind.
Northern Prairie Publication 1078; Mech, L. David. (1999)
Alpha Status, dominance, and division of labor in wolf packs
Canadian Journal of Zoology, 77, 1196–1203.
• Einleitung
• Methoden
• Der Alpha-Status
• Dominanzverhalten und Unterwerfung unter Rudelmitgliedern
• Dominanzverhalten unter den Elterntieren
• Schlussfolgerungen
• Danksagung
• Literatur
Wolfsrudel wurden oft als Beispiel herangezogen, um das Verhalten zwischen den Mitgliedern sozialer Gruppen und deren Beziehungen untereinander zu erforschen bzw. zu beschreiben. Die Themen soziale Dominanz und Alpha-Status haben hierbei an beträchtlicher Bedeutung gewonnen (Schenkel 1947; Rabb et al. 1967; Fox 1971b; Zimen 1975, 1982) und, dass es sich bei einem Wolfsrudel um eine Gruppe von Tieren handelt, die permanent um die dominante Stellung wetteifern, während sie gleichzeitig vom "Alpha-Paar", dem Alpha-Männchen und dem Alpha-Weibchen, kontrolliert werden, hat sich zur vorherrschenden Sichtweise etabliert (Murie 1944; Mech 1966, 1970; Haber 1977; Peterson 1977).
Die meisten Forschungsergebnisse basieren allerdings auf Beobachtungen von in Gefangenschaft lebenden Rudeln und dem sozialen Verhalten der Wölfe untereinander. Die Wölfe in solchen Rudeln stammten für gewöhnlich aus den verschiedensten Regionen, wurden zusammengeführt und konnten sich nach Gutdünken fortpflanzen (Schenkel 1947; Rabb et al. 1967; Zimen 1975, 1982). Offenbar wurde mit diesem Forschungsansatz auch die Meinung vertreten, dass sich ein in Freiheit lebendes Rudel immer zu Beginn des Winters formiert, was bedeuten würde, dass sich voneinander unabhängige Wölfe jährlich zu einem Rudel zusammenschließen (Schenkel 1947; Schenkel zog auch in Betracht, dass es sich bei dem Rudel um einen Familienverband handele. Murie (1944) hatte dies schon vorher in einer Fußnote erwähnt). Die miteinander nicht bekannten Wölfe etablierten in der Gefangenschaft durch ihr Dominanzverhalten eine Hierarchie untereinander, so dass es in solchen Rudeln Alpha-, Beta-, Omega-Tiere, etc. gab. Unter der Voraussetzung, dass die Wölfe in solchen Zusammenstellungen beobachtet wurden, war es höchstwahrscheinlich sogar richtig und angemessen, ihnen Dominanz-Eigenschaften zuzuweisen. Die meisten Lebewesen und Tierarten, die in Gefangenschaft zusammengewürfelt werden, würden höchstwahrscheinlich genauso vorgehen und eine dominanzgeprägte Hierarchie aufbauen.
In Freiheit lebende Wölfe bilden solche Verbände allerdings nicht. In der Regel handelt es sich um eine Familie (Murie 1944; Young und Goldman 1944; Mech 1970, 1988; Clark 1971; Haber 1977), in der es die Elterntiere und ihre Nachkommen gibt, die ein bis drei Jahre im Rudel ihrer Eltern bleiben. Manchmal leben in einem Rudel auch zwei oder drei Familienverbände zusammen (Murie 1944; Haber 1977; Mech et al. 1998). Gelegentlich wird auch ein Wolf in das Rudel adoptiert, der mit keinem der anderen Wölfe verwandt ist (Van Ballenberghe 1983; Lehman et al. 1992; Mech et al. 1998) und manchmal wird auch ein Verwandter der Elterntiere aufgenommen (Mech und Nelson 1990). Es geschieht auch, dass ein totes Elterntier durch einen Wolf, der vorher nicht zum Rudel gehörte, ersetzt wird (Rothman und Mech 1979; Fritts und Mech 1981) oder dass ein Nachkomme dieses Neuankömmlings je nach Geschlecht seinen Vater oder seine Mutter ersetzt, um mit seinen Stiefelternteil zukünftig für den Nachwuchs zu sorgen (Fritts und Mech 1981; Mech und Hertel 1983).
Nichtsdestotrotz handelt es sich bei den oben genannten Variationen um Ausnahmen und das Rudel besteht selbst unter solchen Umständen immer aus den Eltern-Wölfen und ihrem Nachwuchs (Mech 1970; Rothman und Mech 1979; Fritts und Mech 1981; Mech und Hertel 1983; Peterson et al. 1984). Diese Struktur des Rudels wird das ganze Jahr hindurch nicht verändert (Mech 1970, 1988, 1995b). Sobald die jungen Wölfe erwachsen werden, verlassen sie ihr Rudel. Häufig sind sie zu diesem Zeitpunkt erst 9 Monate alt (Fritts und Mech 1981; Messier 1985; Mech 1987; Fuller 1989; Gese und Mech 1991). Die meisten Wölfe entfernen sich im Alter von ein bis zwei Jahren von ihrem Rudel und nur wenige bleiben, bis sie älter als 3 Jahre sind (Mech et al. 1998). Aus diesem Grund machen die jungen Wölfe immer einen vorübergehenden Bestandteil des Rudels aus. Die einzigen Wölfe, die langfristig im Rudel bleiben, sind die Eltern.
Die Struktur der Wolfsrudel, die in Gefangenschaft leben, ist gegensätzlich aufgebaut, da alle Rudelmitglieder dazu gezwungen werden, über viele Jahre hinweg zusammenzubleiben (Rabb et al. 1967; Zimen 1982; Fentress et al. 1987). Der Versuch, Informationen über das Verhalten und die Familienstruktur von freilebenden Wolfsrudeln zu erhalten, indem man nicht miteinander verwandte und in Gefangenschaft lebende Wölfe beobachtete, hat zu Verwirrung und Verwechslungen in einem beträchtlichen Ausmaß geführt. Dieser Ansatz ist vergleichbar mit der Beobachtung des sozialen Miteinanders von Menschen in einem Flüchtlingslager, um anschließend anhand der erhaltenen Daten Schlussfolgerungen zur sozialen Dynamik innerhalb einer menschlichen Familie zu ziehen.
(Schenkel 1947; Rabb et al. 1967; Fox 1971a; Zimen 1975, 1982; Lockwood 1979; van Hooff et al. 1987).
Wölfe wurden sehr lange gejagt und getötet (Young und Goldman 1944). Deshalb war es schwierig, Informationen zum Sozialverhalten der freilebenden Rudelmitglieder zu sammeln (Mech 1974). Es ist nur wenig bekannt über das Verhalten der Wolfseltern untereinander. Genauso wenig weiß man über die Rolle, die jeder einzelne Wolf in einem Rudel innehat, und welchen Stellenwert Dominanz in der Beziehung der Wölfe untereinander hat. Ein paar Forscher haben das Sozialverhalten von in der Wildnis lebenden Wölfen in der Umgebung ihrer Höhlen beobachtet. Murie (1944) lieferte nur eine anekdotische Schilderung von bemerkenswerten Eigenschaften dieser Wölfe. Clark (1971) präsentierte in einer unveröffentlichten Doktorarbeit eine quantitative Zusammenfassung zur hierarchischen Sozialordnung des Rudels und Haber (1977) stellte eine Beschreibung seiner Beobachtungen und Interpretationen zur Verfügung, lieferte jedoch keine Beweise für seine Thesen. Somit hat niemand bisher eine aussagekräftige quantitative Analyse über die hierarchischen Strukturen innerhalb von freilebenden Wolfsrudeln durchgeführt. In dieser Arbeit werde ich Licht in die tatsächliche Sozialordnung eines in Freiheit lebenden Wolfsrudels bringen und unser Wissen über die soziale Verhaltensdynamik der Wölfe verbessern. Ich diskutiere hier das Alpha-Konzept und das Konzept der sozialen Dominanz und liefere Informationen über Dominanzbeziehungen innerhalb dieser Rudel.
Diese Studie wurde jeweils im Sommer über die Jahre 1986 bis 1998 auf Ellesmere Island in den Nordwest-Territorien in Kanada (80° N, 86° W) durchgeführt. Die Wölfe dort jagen Polarhasen (Lepusarcticus), Moschusochsen (Ovibos moschatus) und Rentiere (Rangifer tarandus pearyi). Sie leben weit entfernt von der menschlichen Zivilisation und sind somit vor der Ausbeutung und Verfolgung durch den Menschen geschützt. Ihre Scheu vor dem Menschen hält sich somit in Grenzen (Mech 1988, 1995a). Im Jahr 1986 sorgte ich dafür, dass sich dort ein Wolfsrudel an meine Anwesenheit gewöhnte, und verstärkte anschließend ihre Akzeptanz in jedem folgenden Sommer. Das Wolfsrudel hielt sich jeden Sommer in dem gleichen Gebiet auf und lebte gewöhnlich in den gleichen Höhlen oder in Höhlen in der Umgebung. Durch diese vorsichtige Eingewöhnung war es mir und meinem Assistenten schließlich möglich, jeden Tag bei den Wölfen zu sein, sie einzeln kennenzulernen und sie regelmäßig aus einer Distanz von einem Meter zu beobachten (Mech 1988, 1995a; National Geographic Society 1988).
Wir hielten jeden Moment fest, in dem sich ein Wolf gegenüber einem anderen Wolf in einer unterwürfigen Körperhaltung befand. Dieses aktive Unterwerfungsverhalten wurde körpersprachlich gewöhnlich so gezeigt, dass der unterwürfige Wolf dem dominanten Wolf über die Schnauze leckte (Abb. 5 in Schenkel 1967). Hierbei handelt es sich um ein ähnliches Verhalten, welches Darwin (1877) bei Haushunden beschrieben hat. Diese aktive Unterwerfung war auch zu beobachten, wenn ein Wolf nach der Nahrungssuche zu den Höhlen des Rudels zurückkehrte, und manchmal würgte er auch Futter für den danach bettelnden Wolf hervor (Mech 1988; Mech et al. 1999). Ein anderes Verhalten, das wir beobachten konnten, nannten wir "Fixieren" (engl. "pinning") oder auch passive Unterwerfung (Schenkel 1967). Der dominante Wolf bedrohte einen anderen Wolf, der daraufhin vor ihm auf dem Boden kroch. Außerdem beobachteten wir noch ein Verhalten, das wir "Darüberstehen" (engl. "standing over") nannten. Ein Wolf stand über einem anderen, der gleichgültig unter ihm lag und gelegentlich an seinen Genitalien schnupperte. Ich habe das "Darüberstehen" allerdings niemals als dominantes Verhalten bewertet (L.D. Mech, zur Veröffentlichung vorgelegt). Im Folgenden handelt es sich um eine Zusammenfassung von Verallgemeinerungen, wie sie in der oben genannten Literatur geleistet wird, und neuen quantitativ ausgewerteten Forschungsergebnissen.
"Alpha" bedeutet eine Top-Position in einer hierarchischen Struktur. Nach dieser Definition handelt es sich bei einem Alpha-Wolf um ein Tier in der obersten Position. Da Hierarchien unter Wölfen, die in Gefangenschaft leben, bei beiden Geschlechtern existieren, gibt es ein Alpha-Männchen und eine Alpha-Weibchen (Schenkel 1947). Wie der Alpha-Status früher beobachtet und gewertet wurde, erkennt man in den Studien, in denen der Versuch unternommen wurde, zukünftige Alpha-Tiere unter Wolfswelpen zu erkennen. So wurde zum Beispiel die Hypothese aufgestellt, dass die emotionale Reaktivität des dominanten Welpen – also des potenziellen Rudel-Alphas – messbar anders sein könnte als die der untergeordneten Tiere. Somit sollte es möglich sein, sowohl die Persönlichkeitsmerkmale beziehungsweise die emotionale Reaktivität der potenziellen Alphas oder der Leitwölfe und der Untergebenen als abgrenzbare Größen darzustellen (Fox 1971b, S. 299). Zusätzlich wurde behauptet, dass es unwahrscheinlich wäre, dass die scheuen und rangniedrigen Wölfe unter normalen Bedingungen für den Nachwuchs sorgen würden (Fox 1971a, S. 307). Diese Sicht schließt ein, dass der Rang des Wolfes im Rudel entweder angeboren oder schon früh geprägt wird und dass einige Wölfe dazu bestimmt sind, das Rudel zu führen, und andere nicht.
Im Gegensatz dazu schlage ich vor, dass alle jungen Wölfe potenzielle Fortpflanzer sind und dass sie, wenn sie sich fortpflanzen, automatisch zu einem Alpha-Tier werden (Mech 1970). Einzelne Tiere erlangen oder verlieren sogar in Rudeln, die in Gefangenschaft leben, den Alpha-Status (Zimen 1976), was wiederum zeigt, dass Wölfe keinen angeborenen sozialen Status haben, auch wenn die in Gefangenschaft lebenden Wolfswelpen physiologische Unterschiede und ein anderes Verhalten aufgrund ihres aktuellen sozialen Ranges aufweisen (Fox 1971b; Fox und Andrews 1973). Außerdem sind Wölfe in Gefangenschaft gerne dazu bereit sich fortzupflanzen, und ich kenne keine erwachsenen in Gefangenschaft lebenden Wölfe, die sich nicht außerhalb ihrer Gruppe paaren würden. Das wäre nicht der Fall, wenn es Wölfe gäbe, die einen angeborenen niedrigen Rang innehaben und sich somit nicht fortpflanzen würden. Dazu kommt, dass die meisten Wölfe, die frei leben, sich irgendwann von dem Rudel, in dem sie geboren wurden, entfernen, um sich mit anderen Wölfen zu paaren, Welpen zu bekommen und somit den Grundstein für ein eigenes Rudel zu legen (Rothman und Mech 1979; Fritts und Mech 1981; Messier 1985; Mech 1987; Gese und Mech 1991; Mech et al. 1998).
Ich selbst habe nie von einem streunenden Wolf gehört, der es nicht geschafft hätte, sich früher oder später fortzupflanzen, natürlich unter der Voraussetzung, dass er lange genug überlebte. Die Variation in Alter, Distanz, Richtung, etc., wenn Wölfe sich von ihrem Rudel entfernen (siehe Literaturverweise oben), ist beträchtlich und es ist denkbar, dass diese mit den oben erwähnten Unterschieden der Welpen im Wurf zusammenhängen (Fox 1971b; Fox und Andrews 1973). Fest steht allerdings, dass sich ein erwachsener Wolf früher oder später von seinem Rudel entfernen wird, um sich woanders zu verpaaren, wenn er nicht eine Position erbt, die es ihm erlaubt zusammen mit einem seiner Stiefeltern für die Nachkommen in seinem Rudel zu sorgen und somit zum Eltern-Wolf wird (Fritts und Mech 1981; Mech and Hertel 1983).
Einen hochrangigen Wolf als Alpha zu bezeichnen, betont seinen Rang in einer dominanzgeprägten Hierarchie. Trotzdem verhält es sich in freilebenden Wolfsrudeln tatsächlich so, dass das Alpha-Männchen oder das Alpha-Weibchen ausschließlich für die Fortpflanzung und Aufzucht ihrer Nachkommen zuständig sind, also die Eltern des Rudels sind. Dominanzkämpfe sind selten, wenn sie überhaupt stattfinden. Während der 13 Sommer, in denen ich das Ellesmere Island Rudel beobachtete, habe ich solche Verhaltensweisen nicht gesehen. Einen Wolf "Alpha" zu nennen ist genauso unangemessen wie Menscheneltern oder Damhirschen diese Bezeichnung zu geben.
Solche Bezeichnungen betonen nicht den Dominanzstatus des Tieres, der im Grunde völlig belanglos ist, sondern ihre Rolle als Gründerin des Rudels, was die wirklich wesentliche Information ausmacht.
Für die wenigen Fälle, in denen es in großen Wolfsrudeln mehrere Elternpaare und Kinderstuben gibt, möchten wir uns den Gebrauch des Begriffes "Alpha" vorbehalten. Obwohl die genetische Beziehung unter den Müttern in solchen Rudeln unbekannt ist, bilden sie und ihre Töchter die Basis für das Matriarchat, während es sich bei den Vätern wahrscheinlich um den Patriarchen und die nicht verwandten Adoptivkinder bzw. Zuwanderer handelt (Mech et al. 1998). In solchen Fällen verhalten sich die älteren Eltern höchstwahrscheinlich dominant gegenüber den jüngeren und können vielleicht eher Alphas genannt werden. Beweisen könnte man solch eine Behauptung, wenn man einen älteren sich fortpflanzenden Wolf finden würde, der regelmäßig die Einteilung des Futters organisiert oder die Wanderungen des Rudels anführt. Maßgeblich ist hier nicht so sehr die Terminologie, sondern wie sie falsche Inhalte und Eindrücke transportiert: eine starre, machtvolle und dominanzgetriebene Hierarchie. Es gibt keinen Zweifel daran, dass diese Theorien auf andere Tierarten in den unterschiedlichsten Ausprägungen zutreffen können. Allerdings würde das den Rahmen dieses Artikels sprengen. Trotzdem sei erwähnt, dass diese Studienergebnisse auch auf Afrikanische Wildhunde (Lycaon pictus) anwendbar sind, da sie sich den Wölfen in ihren Umweltbedingungen sehr ähneln (Mech 1975). Während in einigen Studien kein Verhalten beobachtet wurde, das eine Rangordnung nach sich ziehen würde (Kuhme 1965; Estes und Goddard 1967), tendieren andere Forscher zu einer großzügigeren Benutzung des Begriffs "Alpha"-Tiere (Creel und Creel 1996).
Die Idee, Natur und Bedeutung einer dominanzgesteuerten Hierarchie oder Hackordnung (Schjelderup-Ebbe 1922), wie sie vielen Tierarten zu eigen sein soll, wird sehr strittig diskutiert (Zusammenfassung in Wilson 1975). Außerdem hat Dominanz in einem freilebenden Wolfsrudel nichts mit einer Hackordnung zu tun und hat dort weit weniger Signifikanz als die Ergebnisse der Studien an in Gefangenschaft lebenden Rudeln angedeutet haben (Schenkel 1947, 1967; Rabb et al. 1967; Zimen 1975, 1982; Lockwood 1979). Die Dominanzregeln innerhalb von freien Wolfsrudeln ähneln in keiner Weise denen einer Hackordnung, wenn es darum geht, dass Tiere innerhalb einer Gruppe um einen bestimmten Rang konkurrieren.
Die einzige übereinstimmende Demonstration des Ranges in freien Rudeln spiegelt sich in der Körperhaltung der Tiere, während sie sozial miteinander agieren. Dominante Wölfe zeigen die auch bei Hunden klassische stehende Haltung, bei der sie die Rute hoch oder mindestens waagerecht halten, und untergeordnete bzw. unterwürfige Wölfe machen sich kleiner und "ducken sich" (Darwin 1877). Es ist tatsächlich möglich, dass das Unterwerfungsverhalten genauso wichtig ist wie das Dominanzverhalten, was das Fördern von freundlichen Beziehungen und das Reduzieren von sozialer Distanz anbetrifft.
Schenkel (1967), der die Wichtigkeit von Unterwerfung betonte, identifizierte die aktive und die passive Unterwerfung als zwei Haupttypen. Er war der Überzeugung, dass sich die aktive Unterwerfung vom Verhalten herleitet, das beim Futterbetteln beobachtbar ist. Ich bin der Ansicht, dass die aktive Unterwerfung und das Verhalten beim Futterbetteln überhaupt nicht unterscheidbar sind. Der bettelnde bzw. unterwürfige Wolf nähert sich aufgeregt dem anderen Wolf, wedelt mit dem Schwanz, legt die Ohren an und leckt an dem anderen Wolf hoch (engl. "licking up"). Es hängt dann von den jeweiligen Umständen ab, ob der andere Wolf Nahrung für den anderen hochwürgt oder nicht (Mech et al. 1999). Bei der passiven Unterwerfung legt sich der unterwürfige Wolf auf die Seite oder den Rücken und der dominante Wolf schnuppert an seiner Leiste oder seinen Genitalien (Schenkel 1967). Aktive Unterwerfung war bei den Wölfen auf Ellesmere Island allerdings häufiger zu beobachten. Alle Mitglieder des Rudels auf Ellesmere Island und auch das Muttertier unterwarfen sich dem Vatertier sowohl aktiv als auch passiv (Schenkel 1967). Die Jährlinge, die 2-jährigen Wölfe und ein postreproduktives Weibchen unterwarfen sich beiden Elterntieren. Egal in welcher Zusammenstellung die Wölfe lebten, wurden diese Regeln eingehalten: Elterntiere oder Elterntiere mit Welpen (Tabelle 1); Elterntiere mit Jährlingen (Tabelle 2); Elterntiere mit Jährlingen und Welpen (Tabelle 3); Elterntiere mit Welpen und 2-jährigen Aufzuchthelfern (Tabelle 4) oder Elterntiere mit Welpen und einem postreproduktiven Weibchen (Tabelle 5).
Eine Beobachtung, die ich am 22. Juni 1991 machte, zeigte auf drastische Art und Weise, wie sehr diese Regeln der Unterwerfung zu den friedlichen Beziehungen der Wölfe untereinander beitragen. Ein postreproduktives Weibchen kehrte zu den Schlafplätzen der Wölfe zurück. Als Beute trug sie den ausgetrockneten Kadaver eines Hasen mit sich, der von den anderen eher als interessante Ablenkung und nicht als Futter angesehen wurde. Anstatt den trockenen Tierkadaver direkt zu den Welpen zu bringen, bog die alte Wölfin in Richtung des männlichen Elternteils ab, um ihm den Hasen unterwürfig anzubieten. Der Wolf schnappte ihn sich sofort. In der Folge widersetzte er sich allen Bitten der alten Wölfin und sogar des weiblichen Elternteils und kaute an dem Kadaver für ca. 20 bis 30 Minuten.
Andere generelle Regeln im Dominanzverhalten, die ich beobachten konnte, zeigten sich beim Setzen von Duftmarken und dem Besitz von Futter und seiner Übergabe. Sowohl der männliche als auch der weibliche Eltern-Wolf setzten Duftmarken. Die ihnen untergeordneten Wölfe markierten nicht, außer sie konkurrierten um Dominanz (Packard 1989; Asa et al. 1990). Was dieses Verhalten anbetrifft, habe ich keine Ausnahmen erkennen können. Bezogen auf den Futterbesitz und dessen Übergabe konnte ich den männlichen Eltern-Wolf dabei beobachten, wie er, wenn Welpen und Jährlinge im Rudel waren, das Futter für seine Gefährtin hochwürgte oder es ihr hinwarf und ihr erlaubte, es sich zu nehmen. Alternativ brachte er es auf direktem Wege zu seinem Nachwuchs.
Abgesehen von diesen Ritualen des Futterbesitzes und seiner Abgabe, gab es anscheinend eine Besitzzone (Mech 1970) um das Maul eines jeden Wolfes herum und der Besitzer verteidigte sein Futter vor jedem anderen Wolf und zwar unabhängig seines Ranges. Das gleiche Verhalten konnte Lockwood (1979) auch bei in Gefangenschaft lebenden Wölfen beobachten. Die Wölfe versuchten ungeachtet ihres Ranges im Rudel Futter bei allen anderen Rudelmitgliedern zu stehlen, wobei jeder Wolf sein Futter verteidigte (Tabelle 6). Die dominanten Wölfe waren allerdings die grundsätzlich erfolgreicheren Räuber, allerdings war die Menge von Ereignissen, die wir beobachtet haben, zu klein, um eindeutige Schlussfolgerungen ziehen zu können.
Zwei Ereignisse, die aufgrund der geringen Datenmenge nicht aussagekräftig sind, aber auf dominanzbezogenes Verhalten hindeuten, waren noch auffällig: "Darüberstehen" (engl. "standing over") und "Umarmen" (engl. "hugging") (L.D. Mech, s. Fußnote 1). Beim "Darüberstehen" steht ein Wolf über einem anderen liegenden Wolf (Schenkel, 1947), wobei er seine Leiste über dessen Nase positioniert. In manchen Fällen schnupperte der liegende Wolf an der Leiste oder den Genitalien des anderen Wolfs.
Schenkel (1947) beobachtete "Darüberstehen" nur in "friedlichen" Situationen und hat dahingehend ein dominanzbezogenes Verhalten nicht in Betracht gezogen. Was das Verhalten "Umarmen" anbetrifft, hatte ich nicht genügend Daten (Tabelle 5), um eine Behauptung aufstellen zu können, ob es sich um ein Dominanzverhalten handelt oder nicht (L.D. Mech, s. Fußnote 1).
Die oben genannten Dominanzregeln, die auf einer natürlichen auf das Alter der Tiere begründeten Rangfolge, bestehend aus den ranghöchsten Elterntieren und ihren untergeordneten sich nicht fortpflanzenden Nachkommen basieren, werden so selbstverständlich ausgeführt, dass sie selten zu Konflikten führen. In diesem Sinn ist das soziale Verhalten freilebender Wölfe untereinander sehr viel ausgeglichener und friedfertiger als Schenkel (1947) und Zimen (1982) es bei in Gefangenschaft lebenden Wölfen beschrieben haben. Dieser Zusammenhang wurde auch bei Clark (1971) schon erwähnt. Welpen verhalten sich ähnlich friedfertig und natürlich unterwürfig gegenüber den erwachsenen Wölfen und ihren älteren Geschwistern. Es wird immer noch diskutiert, wann sich unter Welpen eine Rangfolge entwickelt und ob es eine solche überhaupt gibt (zitiert nach Zimen 1975 und Fox und Andrews 1973; Haber 1977). Ich selbst kann hierzu keine Aussage treffen. Unter Jährlingen und 2-jährigen Wölfen konnte nur vereinzelt rangbezogenes Verhalten beobachtet werden (Tabellen 2-5).
Es ist naheliegend, dass sich während der Fortpflanzungszeit soziale Spannungen verstärken (Schenkel 1947), aber die Tatsache, dass es in freien Rudeln nur ein einziges Elternpaar gibt, sollte solche Konfliktherde ausschließen. Freilebende Wölfe pflanzen sich frühestens im Alter von 22 Monaten fort (Seal et al. 1979) und manche Wölfe werden nicht vor ihrem vierten Lebensjahr geschlechtsreif (Haber 1977; Mech und Seal 1987). Die jungen Wölfe verlassen ihr Rudel frühestens mit 2 und spätestens mit 3 Jahren (Mech 1987; Gese und Mech 1991; Mech et al. 1998). Aus diesem Grund gibt es in den meisten Rudeln auch keine sexuelle Konkurrenz der Wölfe untereinander.Nur in vereinzelten Rudeln, in denen sich mehrere fortpflanzungswillige Wölfe befinden, kann es zu starken Rivalitäten kommen. Haber (1977) berichtete von solch einem Verhalten während der Fortpflanzungszeit in einem derartig untypischen Rudel. Auf der anderen Seite kann es sein, dass zumindest einige dieser unterschiedlichen Beschreibungen von "feindseligem Verhalten" durch unterschiedliche Sichtweisen der Beobachter zustande gekommen sind. Ich habe im Sommer 1994 gelegentlich gesehen, dass ein 2-jähriger weiblicher Wolf von der Mutter intensiv "fixiert" wurde. Manche mögen dieses Verhalten als "feindselig" bezeichnen, aber für mich war dies nur ein Verhalten, das ich während meiner Studien auch zwischen einer Mutter und ihrem unkontrollierbaren und sich auf Abwegen befindenden Welpen beobachtet habe.
Das natürliche Kontrollverhalten, das hochrangige über rangniedrige Tiere ausüben, ist sehr situationsabhängig. Wenn die Wölfe ein großes Tier, zum Beispiel einen ausgewachsenen Elch, erlegt haben, versammeln sich alle Wölfe, egal von welchem Rang (altersbezogen), um den Tierkadaver und fressen gleichzeitig. Kein Wolf hat in einer solchen Situation einen privilegierten Status (Mech 1966; Haber 1977). Handelt es sich allerdings um ein kleineres Beutetier, wie zum Beispiel ein Moschusochsen-Kalb, kommt es vor, dass ein ranghoher Wolf (Elternteil) zuerst frisst und anschließend kontrolliert, wann die rangniedrigeren Wölfe fressen dürfen (Mech 1988; National Geographic 1988).
Ähnlich sind Welpen ihren Eltern und älteren Geschwistern untergeordnet, werden jedoch von ihren Eltern aber auch von ihren älteren (dominanten) Geschwistern bevorzugt gefüttert (Mech et al. 1999). Auf der anderen Seite dominieren die Eltern ihre älteren Nachkommen und schränken die ihnen zustehende Futtermenge ein, wenn diese knapp ist. Sie verfüttern es dann an ihre Welpen. Somit hat Dominanzverhalten eine sehr praktische Wirkung, da sie dem dominanten Tier erlaubt, bezüglich der Futtereinteilung eine Auswahl zu treffen.
Ich selbst konnte in dem freilebenden Rudel, das ich beobachtet habe, nur noch ein zusätzliches Dominanzverhalten oder Privileg wahrnehmen. Hochrangige Welpen waren durchsetzungsfähiger, wenn sie mit den anderen Welpen um das Futter konkurrierten, das die Erwachsenen mitgebracht hatten. Außerdem begleiteten sie die Erwachsenen in einem jüngeren Alter bei der Futtersuche als dies bei rangniedrigeren Welpen der Fall war (Haber 1977).
Die Beziehung zwischen dem männlichen und dem weiblichen Elterntier ist sehr vielschichtig und bedarf weiterer Studien. In der Forschung zu Rudeln, die in Gefangenschaft leben, existieren widersprüchliche Aussagen zum Dominanzverhalten des "Alpha-Männches" und des "Alpha-Weibchens" untereinander und zu den Wölfen, die ihnen untergeordnet sind. Dieses Thema ist sehr nah am Führkonzept, es geht allerdings nicht notwendigerweise um den gleichen Sachverhalt (L.D. Mech, zur Veröffentlichung vorgelegt) (s. Fußnote 1).
Man ist sich in der Forschung uneinig, ob jedes Geschlecht eine eigene Dominanzhierarchie herstellt. Wie auch van Hooff et al. (1987, S. 248) erwähnte, behaupteten Schenkel (1947) und Zimen (1982), dass bei in Gefangenschaft lebenden Wölfen jedes Geschlecht eine eigene Hierarchiestruktur ausbildet. Allerdings stimmt das Verhalten von freilebenden Wölfen nicht mit diesen Ergebnissen überein. Clark’s (1971) Daten zeigten, dass das männliche Elterntier alle Wölfe im Rudel dominiert und dass auch das weibliche Elterntier alle dominiert bis auf das männliche Elterntier. Haber (1977, S. 203) beobachtete, dass unter freilebenden Wölfen mit nur ein paar Ausnahmen die Männchen generell dominierten. Meine Daten stimmen mit dieser Behauptung, dass das männliche Elterntier körpersprachlich dominiert, überein. Ich konnte schließlich nur einmal beobachten, dass sich der männliche Wolf dem Weibchen mittels seiner Körperhaltung unterwarf (Tabellen 1-5).
Die gegensätzlichen Meinungen in der Forschung über die soziale Beziehung zwischen den beiden Elterntieren entstanden höchstwahrscheinlich aus den schon oben diskutierten Unterschieden in der Rudelzusammenstellung und der Herkunft der Wölfe in den in Gefangenschaft und den in der Wildnis lebenden Rudeln. Deshalb ist es wichtig, den Fokus auf die Interaktion zwischen den verpaarten Elterntieren in freien Rudeln zu legen, denn dieses Verhalten wurde vorher noch nie beschrieben.
In Situationen, in denen das Elternpaar voneinander getrennt ist und sie sich dann wieder einander annähern, geht das Weibchen in einer typischen Unterwerfungshaltung auf ihren Partner zu: sie hält die Rute nach unten oder auch zwischen ihren Hinterbeinen, geht geduckt oder kriecht mit dem Körper über den Boden, legt die Ohren zurück, hält ihre Nase nach oben und leckt das Maul des Männchens (Schenkel 1947). Das Männchen steht gelassen da und streckt manchmal seine Rute horizontal in die Höhe.
Wenn in dem Rudel, das ich beobachtete, Welpen oder Jährlinge waren, fanden solche Wiederbegegnungen häufig in ihrer Nähe statt, und zwar dann, wenn das männliche Elterntier von der Jagd zurückkam. Als Reaktion auf das Begrüßungsverhalten der Mutter ließ er das Futter in seinem Maul auf den Boden fallen und/oder würgte es für sie hervor (Mech et al. 1999). Die Mutter fraß die Beute oder gab sie ihrem Nachwuchs. Diese Begrüßungsrituale, in denen Futter hochgewürgt wurde, konnte ich nicht von Szenen unterscheiden, in denen dies nicht geschah.
Im Jahr 1998 hatte das Elternpaar keine Nachkommen. Die vier Begrüßungsszenen der beiden, die ich beobachten konnte, geschahen direkt, nachdem das Weibchen von der Jagd zurückkam bzw. nachdem sie Futter von einer Beute versteckt hatte. Jedes Mal, wenn das Weibchen zu ihrem Partner zurückkehrte, nahm sie beim Zusammentreffen mit ihm die aktiv-unterwürfige Haltung ein und einmal unterwarf sie sich ganze 90 Sekunden. Sogar als sie konzentriert einem anderen Wolf nachjagte und dabei von ihrem Partner überholt wurde (17. Juni 1991), nahm sie in dem Moment, als ihr Partner an ihr vorbeilief, kurz diese Haltung ein. Es scheint aufgrund dieser Beobachtungen einleuchtend zu sein, dass das Weibchen ihrem Partner untergeordnet war.
Die konkreten Auswirkungen bzw. Folgen, die dieses unterwürfige Verhalten der Wölfin hat, sind dennoch nicht offensichtlich. Sie verhält sich nicht nur so, wenn sie um Futter bittet. Bei einer Begrüßungsszene im Jahr 1998 zum Beispiel verhielt sich die Wölfin ihrem Partner gegenüber zwar wie oben beschrieben unterwürfig, besaß aber gleichzeitig einen großen Knochen, von dem sie schon einen großen Teil abgenagt und gegessen hatte. Ihr Partner, der schon seit einigen Stunden nichts gegessen hatte, versuchte den Knochen an sich zu nehmen. Die Wölfin schnappte nach ihm, um den Knochen zu verteidigen, und sie schaffte es, ihn zu behalten, obwohl ihr Partner ungefähr eine Stunde lang immer wieder versuchte ihn zu stehlen.
Auch wenn es sich bei diesem aktiven Unterwerfungsverhalten der Wölfin tatsächlich um eine Geste handelt, mit der sie um Futter bettelt, muss dennoch erwähnt werden, dass sie sich ihrem Partner gegenüber durchaus auch passiv unterwürfig verhält (Schenkel 1967). Ich selbst konnte dieses Verhalten drei Mal auf Ellesmere beobachten (Tabelle 1). Auf der anderen Seite passierte es niemals, dass sich das männliche Elterntier seiner Partnerin passiv unterwarf. Da die passive Unterwerfung nichts mit dem Betteln nach Futter zu tun hat, ist diese Beobachtung ein klarer Beweis für eine Unterordnung.
Die Elterntiere sind an der gemeinsamen Beutejagd gleichberechtigt beteiligt und dabei ist es irrelevant, ob es sich bei der Beute um einen ausgewachsenen Moschusochsen handelt oder um ein Kalb. Sie fressen Seite an Seite, während sie ihre Beute vor den Jährlingen verteidigen. Sie jagen gemeinsam Hasen und der männliche Wolf scheint ausdauernder und beharrlicher als seine Partnerin zu sein, wenn Jährlinge an diesen Jagden teilnehmen (Mech 1995b).
Sowohl das männliche als auch das weibliche Elterntier setzen Duftmarkierungen und beide initiieren Doppelmarkierungen (Haber 1977; Rothman und Mech 1979). Wenn sie gemeinsam umherstreifen, hängt es immer davon ab, wer zuerst an Ort und Stelle ist, um die Erstmarkierung zu setzen. Als Beispiel sei der 16. Juli 1993 zu nennen, als das Elternpaar auf Ellesmere Island auf einer 4 Kilometer langen Wanderung dreimal übereinander markierte. Der männliche Wolf initiierte 2 Doppelmarkierungen davon. Beide hoben beim Markieren das Bein, wobei der männliche Wolf sein Bein höher hob als seine Partnerin, was wahrscheinlich anatomische Ursachen hat. Beide scharrten in Verbindung mit dem Markieren gelegentlich am Boden.
Während der frühen Aufzuchtphase der Welpen teilt sich das Elternpaar die Arbeit. Die Mutter bleibt nahe bei der Schlafhöhle und pflegt die Welpen (Packard et al. 1992) und der Vater geht auf die Jagd und bringt seiner Partnerin und den Welpen das Futter (Mech et al. 1999).
Der männliche Wolf erachtet es als unabdingbar auf Futter zugunsten der Mutter zu verzichten. Am 8. Juli 1992 habe ich, als die Elterntiere gleich weit entfernt vor mir standen, dem männlichen Wolf einen toten Hasen, der 5 Kilogramm wog, zugeworfen. Der Wolf schnappte ihn sich, doch seine Partnerin eilte sofort herbei, riss ihm den Hasen aus dem Maul und trug ihn in die Schlafhöhle. Ihr Partner unternahm keinen Versuch, den Hasen zu behalten oder ihn zurückzubekommen. Daraufhin gab ich dem männlichen Wolf einen zweiten Hasen von gleicher Größe. Er fraß den Kopf und trug den Rest des Hasen zu seiner Partnerin, die sich einen halben Kilometer von ihm entfernt aufhielt, und gab ihn ihr. Sie versteckte ihn sofort. Bei Versuchsreihen mit kleineren Beutetieren gelangte ich zu ähnlichen Ergebnissen.
Andere Rudelmitglieder von den jungen Welpen auf Distanz zu halten, insbesondere wenn die Welpen jünger als 3 Wochen sind, ist vorbehaltlos die Aufgabe der Mutterwölfin. Während ich das Verhalten des Wolfsrudels auf Ellesmere Island erforschte, konnte ich durchgängig beobachten, dass die Mutter immer zu ihren Welpen eilte, sobald sich ihnen der Vater oder ein anderer Wolf näherte.
Der männliche Eltern-Wolf zeigt sich außerdem körpersprachlich unterwürfig, wenn er sich seiner Partnerin nähert, während sie ihre Welpen hütet und pflegt. Am 26. Juni 1990 beobachtete ich den männlichen Eltern-Wolf dabei, wie er aufgeregt und schwanzwedelnd, wobei sein ganzer Körper sich mitbewegte, auf seine Partnerin zuging. Am 18. Mai 1990 zeigte ein männliches Elterntier im Denali Park in Alaska ein ähnliches Verhalten. Ich sah wie sich der mit einem Funkhalsband ausgestattete Wolf 251 auf das weibliche Elterntier 307, die in der Schlafhöhle bei ihren Welpen war, wie ein Rangniedriger zubewegte. Dabei wedelte er mit dem Schwanz so aufgeregt, dass sich sein Hinterteil mitbewegte. Die Wölfin kam aus der Höhle und der Wolf würgte für sie Futter hervor. Das waren die einzigen Situationen, in denen ich jemals gesehen habe, dass sich ein männliches Elterntier einem anderen Wolf gegenüber unterwürfig verhielt. Diese Momente scheinen auch zu zeigen, dass die Mutter, solange bis die Welpen die Höhle verlassen, sich sogar ihrem Partner gegenüber dominant verhält.
Das weibliche Elterntier versorgt und schützt die Welpen auf eine Art und Weise, wie dies kein anderes Rudelmitglied machen würde. Die Mütter waren die einzigen, die jemals die Welpen hochgenommen und herumgetragen haben. Außerdem habe ich die Mutterwölfin des Rudels auf Ellesmere Island einmal dabei beobachtet, wie sie sich einem Moschusochsen gegenüber, der nahe am Eingang der Höhle stand, höchst aggressiv verhielt (L.D. Mech, s. Fußnote 1). Dieses Verhalten stimmt mit den Beobachtungen von Joslin (1966) und Clark (1971) überein. Auf der anderen Seite berichtete Murie (1944), wie das männliche Elterntier einen Grizzlybären sehr aggressiv aus der Umgebung der Welpenhöhle verjagte.
Die oben beschriebenen Beobachtungen zeigen, dass sich das Sozialverhalten unter den Mitgliedern von Wolfsrudeln in Ausmaß und Qualität zumindest im Sommer nicht sonderlich von dem anderer, artverwandter Tierarten unterscheidet. Sogar die vielgepriesene Dominanzhierarchie ist am Ende ein Ausdruck von Alter, Geschlecht und der reproduktiven Struktur der Gruppe. Das männliche Elterntier dominiert alle Rudelmitglieder durch seine Körperhaltung und das weibliche Elterntier holt sich von ihrem Partner das Futter, während sie ihre Welpen aufzieht.
Das typische Wolfsrudel sollte also als Familie betrachtet werden, in der die Eltern alle Aktivitäten in der Gruppe steuern und anleiten. Sie übernehmen gemeinsam die Gruppenleitung innerhalb eines Systems von Arbeitsteilung, in dem die Mutter hauptsächlich die Pflege der Welpen und deren Verteidigung übernimmt und der Vater mit der Futtersuche bzw. -beschaffung und den damit verbundenen Jagdausflügen beschäftigt ist (L.D. Mech, s. Fußnote 1).
Dominanzgehabe ist sehr unüblich und kann nur während der Verteidigung des Futters beobachtet werden. Dann erlaubt dieses Verhalten den Eltern, das Futter für sich zu beanspruchen, um es unter ihren jüngsten Sprösslingen zu verteilen. Aktive Unterwerfung wird in erster Linie als eine Geste des Bettelns um Futter eingesetzt oder dient auch als Anreiz Futter zu beschaffen (Mech 1970). Der Einsatz von aktiver und passiver Unterwerfung zwischen den Elterntieren, wenn keine Nachkommen vorhanden sind, bedarf noch weiterer Forschung.
Dieses Projekt wurde von der National Geographic Society, dem United States (U.S.) Fish and Wildlife Service, dem U.S. National Biological Service (jetzt Biological Resources Division of the U.S. Geological Survey) und dem U.S. Department of Agriculture North Central Forest Experiment Station unterstützt. Die logistische Hilfe der Polar Continental Shelf Project (PCSP), Natural Resources Canada, Atmospheric Environment Services, Environment Canada und High Arctic International werden ebenfalls sehr geschätzt. Genehmigungen wurden vom Department of Renewable Resources und the Grise Fiord Hunter and Trapper Association of the Northwest Territories erteilt. Die logistische Hilfe folgender Feldforschungsassistenten wird dankend anerkannt: L. Adams, L. Boitani, D. Boyd, N. Gedgaudes, C. Johnson, J. Hutchinson, N. Gibson, T. Lebovsky, M. Maule, M. Ortiz, J. Packard, R. Peterson, R. Ream, L. Shaffer, R. Sternal und U. Swain. Außerdem bedanke ich mich bei R. O. Peterson für die kritische Durchsicht einer früheren Fassung dieses Artikels und seinen Verbesserungsvorschlägen. Das ist das PCSP Paper 003298.
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