Der Wolf ist gar nicht das Problem
Das Schicksal der Falltiere
Das Schicksal der Falltiere
Jetzt magst du vielleicht irritiert sein, weil man immer wieder hört, dass durch die Rückkehr des Wolfes die Schafe und andere Tiere auf den Weiden einer großen Gefahr ausgesetzt wären.
Ich möchte an dieser Stelle nicht näher darauf eingehen, dass auch der Wolf hier bei uns eine Daseinsberechtigung hat und man lernen sollte, mit der Natur zu leben, anstatt gegen sie.
Ich möchte stattdessen der Frage nachgehen, ob der Wolf tatsächlich bei den Schafen für solche Verluste sorgt, dass dies das aktuelle Jammern und den Ruf nach Herdenschutzhunden im klassischen Herdenschutz-Einsatz rechtfertigen würde.
Bereits seit Jahren bereitet es mir große Bauchschmerzen, dass die Rassen, die die Bezeichnung "Herdenschutzhund" tragen, allein auf diese Tätigkeit reduziert werden sollen. Ja, sie können aufpassen, sehr gut sogar. Aber ihr Heil liegt definitiv nicht im Herdenschutz. Dazu habe ich bereits etliche Artikel geschrieben, die du hier finden kannst: Kompetenzzentrum für Herdenschutzhunde.
Werden Fotos von Schafen, Lämmern und anderen Tieren in Social-Media-Kanälen gepostet, die angeblich einem Wolfsangriff zum Opfer fielen, dann berührt das natürlich viele Menschen sehr. Die Vorstellung, von einem "wilden Tier" angefallen und getötet zu werden, weckt Urängste. "Wildes Tier" – das klingt nach etwas, was man nicht kontrollieren kann – und vielen fällt dann nur eins ein: es zu bekämpfen.
Ein Kontrollverlust in unserer Welt, in der die meisten für jede Eventualität abgesichert sein möchten und Veränderungen bei vielen Menschen Angst auslösen – anstatt in der Veränderung eine Chance für Weiterentwicklung zu sehen – das geht natürlich gar nicht…
Wenn wir die Emotionen an dieser Stelle weglassen und die Situation ganz nüchtern betrachten: ist der Verlust durch Wolfsangriffe tatsächlich so hoch?
Ich zitiere an dieser Stelle einen Ausschnitt aus der Presseinformation der Landestierschutzbeauftragten vom 15. Juni 2018 (die vollständige Presseinformation findest du hier: Landestierschutzbeauftragte Hessen):
"[…] Im Jahr 2016 registrierte das Bundesamt für Naturschutz deutschlandweit 283 Übergriffe durch Wölfe mit insgesamt 1.086 getöteten Nutztieren. Im Vergleich dazu landen allein in Hessen jährliche Größenordnungen von mehr als 15.000 Schafen und Ziegen, sowie mehr als 25.000 Kälbern als sogenannte Falltiere in den Tierkörperbeseitigungsanlagen. Das sind Tiere, die beim Halter beispielsweise durch Krankheiten oder Unfälle sterben. Unter diesem Gesichtspunkt seitens der Landwirtschaftsverbände von einem "Ende der Weidetierhaltung" durch den Wolf zu sprechen hält die Landestierschutzbeauftragte für stark übertrieben. Die Schaf- und Ziegenhaltung nimmt in Deutschland schon seit Jahrzehnten kontinuierlich ab, […]"
Wenn wir uns nun auf Schafe und Ziegen beschränken: allein in Hessen fallen bereits mehr als 15.000 Schafe und Ziege als Falltiere an, dagegen fallen deutschlandweit nur 1.086 getötete Nutztiere an. Man beachte das Verhältnis! Das in Relation gesetzt, zeigt deutlich, dass den Haltern der sogenannten Nutztiere deutlich mehr damit geholfen wäre, die Unfallrate und die Erkrankungen zu verringern, als eine Kennzahl zu verringern, die ohnehin im Gesamten ausgesprochen wenig ins Gewicht fällt.
Das Problem ist also weniger der Wolf, als das System, das sogenannte Nutztiere nur als Wirtschaftsfaktor sieht. Hier anzusetzen wäre wesentlich erfolgversprechender und würde bedeutend weniger Leid hervorrufen. Denn was passiert? Das nächste Lebewesen, der Hund, wird zum Nutztier degradiert und allein unter dem Aspekt der Wirtschaftlichkeit gesehen. Dies betrifft alle Hunde, die unter die Bezeichnung "Herdenschutzhund" fallen.
Es ist längst überfällig, Tiere (egal ob Haustier oder sogenanntes Nutztier), nicht mehr nach ihrer Wirtschaftlichkeit zu bewerten und zu behandeln, sondern sie als fühlendes Lebewesen anzuerkennen und unsere Bedürfnisse nicht über die ihren zu stellen.
Das ist bei den sogenannten Nutztieren angebracht, aber auch bei den Herdenschutzhunden, deren Glück nicht im romantisch verklärten "Schäfchen zählen und schützen" liegt.
Wer sich daran festbeißt, dass diese Hunde in den Ursprungsländern aber doch so leben und arbeiten, der sollte auch sich selbst dem "Standard" dieser Länder anpassen – um dann zu merken, wie komfortabel doch der Fortschritt in unserem "Ursprungsland" ist.