Der Hund stammt doch vom Wolf ab! Mit diesem Argument füttern nicht wenige Hundehalter ihre Vierbeiner heute vorwiegend mit Fleisch. Extremform dieser Auffassung ist die in letzter Zeit in Mode gekommene Prey-Methode, die ganze Tiere mit Fell und Innereien als Futter für den Hund propagiert. Neuste Forschungen haben nun allerdings gezeigt, dass der Hund im Gegensatz zum Wolf auch Kohlenhydrate verwerten kann. Haben sich Mensch und Hund in ihrer gemeinsamen Evolutionsgeschichte auch in der Ernährung angenähert?
Neben historischen Quellen, die es vor allem aus den letzten 2000 Jahren gibt, liefern die Archologie und in den letzten zehn Jahren hauptschlich die Genetik fundierte Belege über die sich wandelnden Ernährungsgewohnheiten der Kaniden in ihrer gemeinsamen Entwicklungsgeschichte mit dem Menschen.
An dieser Stelle einen herzlichen Dank an Karin Dohrmann für diesen tollen Artikel, der sich in seiner Aussage absolut mit unseren Erfahrungen zu Ernährung und Verhalten deckt.
Koevolution von Mensch und Hund
Die Koevolution von Mensch und Hund zeigt sich auch in den sich wandelnden Ernährungsgewohnheiten. Fossile Funde belegen, dass der Hund den Menschen seit mindestens 36.000 Jahren begleitet. In dieser Zeit hat sich der Mensch vom Jäger und Sammler zum Hirten und Bauern entwickelt und dabei die Fähigkeit erlangt, sowohl Laktose als auch vielfältige Stärkearten (Kohlenhydrate) in seiner Nahrung zu verwerten.
Die Hunde, die ihn begleiteten, passten sich ebenfalls an diese Nahrungsbestandteile an und können nach neusten Forschungen zum Beispiel Stärke mithilfe eines Enzyms, der Speichelamylase aufspalten. Dabei ist Hund nicht gleich Hund. Hirtenhunde, die seit 10.000 Jahren mit den Viehherden ziehen und wie ihre Menschen vorwiegend von Milchbrei leben, besitzen bis zu elf Kopien des Amylase-Enzyms, während Nordhunde der Inuit, die nur Fleisch erhalten, nur drei Kopien aufweisen.Der Grönlandhund ist daher nicht nur in seinen Genen, sondern auch in seinen Essgewohnheiten dem Wolf noch am nächsten und braucht eine sehr wölfische, also proteinlastige Ernährung, während der Herdenschutzhund, wie schon der römische Agrarwissenschaftler Columella (50 n.Chr.) empfahl, besser mit Getreidebrei zurechtkommt.
Die Ernährungsbedürfnisse einzelner Hundeschläge haben sich in der Geschichte ganz unterschiedlich entwickelt und die zukünftige Forschung wird zeigen, ob man daher heute eine rassespezifische Fütterung anstreben müsste.
Erste Nahrungsgemeinschaften?
Haben Urhund und Urmensch durch die Vorteile des Feuers erste (Nahrungs-)Gemeinschaften geschlossen? 2015 wurde als Vorfahr der Hunde neben dem Wolf der Canis variabilis in die Diskussion eingebracht, ein Urhund, der vor 400.000 Jahren ganz Eurasien bevölkerte und ausgestorben ist. Als das Team um Esther Lee den ältesten europischen Hundeschädel (36.000 Jahre alt) aus der Höhle von Goyet genetisch untersuchte, zeigte sich, dass der Canis variabilis und der Schädel aus Goyet enge Verbindungen aufweisen.
(Foto: © Christoph Wesi)
Eine enge Lebensverbindung zwischen dem Urhund Canis variabilis und dem Peking-Mensch (Homo erectus Pekinensis) wies man in Zhoukoudian in China nach. Dort fand man in Kalksteinhöhlen 400.000 Jahre alte Knochen dieses Urmenschen, die dort wohl ein ewiges Feuer hüteten. In den Nachbarhöhlen lebten kleinwüchsige Canis variabilis, die den heutigen Dingos in Australien sehr ähnlich waren. In keiner der Höhlen fand man abgenagte Reste der jeweils anderen Spezies, so dass man davon ausgehen kann, dass sie friedlich nebeneinander lebten.
Aber was hatten sie von dieser Koexistenz? Die Urhunde warnten die Menschen vor Raubtieren und die Urmenschen hielten mit ihrem Feuer die Raubtiere fern. Dazu konnten sie im kalten Winter Wärme spenden und vom Feuer fielen eventuell auch schmackhafte Essenreste ab, die vielleicht dazu führten, dass ein Welpe oder schwacher Urhund die Nähe des Homo erectus suchte. Die Evolutionsbiologen wissen heute, dass erst durch das Kochen von Nahrung das menschliche Hirn wachsen konnte und sich somit der Homo erectus zum Homo sapiens entwickelte. Durch die gekocht Nahrung können Nährstoffe besser aufgenommen werden und liefern daher mehr Kalorien als Rohkost.
Vielleicht hat auch die Aufnahme gekochter Nahrung die Entwicklung des Urhundes zum Hund gefördert? Erstaunlicherweise stellt man sowohl in historischen Texten als auch bei der Erforschung indigener Völker fest, dass Hunde durch die Jahrtausende hindurch vorwiegend mit gekochter Nahrung ernährt wurden. Zu rohem Fleisch kamen Hunde nur durch das Jagen von Kleintieren als Ungeziefervertilger oder das Fressen von Nachgeburten und Aas als Abfallbeseitiger.
Das gleiche Ernährungsbedürfnis wie der Mensch: Abwechslung
Neueste Freilandstudien zeigen, dass Hunde nicht wie Wölf jagen, die im Rudel eine große Beute erlegen, diese dann verschlingen und mehrere Tagen ohne Nahrung leben, sondern eher wie Füchse, die alleine die Gegend durchstromern und über den Tag hinweg kleine Rationen zu sich nehmen. Dieses Ernährungsverhalten wurde auch durch die Ergebnisse der Studie zum Risiko von Magendrehungen untermauert, die das Purdue Institute der Universität Lafayette (Indiana, USA) 2004 veröffentlichte. Es zeigte sich, dass eine einmalige Fütterung am Tag das Risiko einer Magendrehung verdoppelt, bei großen Hunden sogar verdreifacht.
Hunde, die Trockenfutter erhielten, hatten das höchste Magengewicht und damit eine risikoreiche Überdehnung der Magenbänder, die mit Knochen-Fleisch-Ernährung hingegen das geringste Magengewicht. Der Kohlenhydratanteil der Nahrung hatte keine Auswirkungen auf die Magendrehung. Im Gegenteil: Die Zugabe von Tischresten ins Futter zeigte eine risikosenkende Wirkung. Auch Dosenfutter senkte das Risiko, aber nicht so stark wie die Fütterung von Tischresten. Hunde, die nur eine einzige Futtersorte bekamen, hatten ein dreimal höheres Risiko als Hunde, die abwechslungsreich ernährt wurden. Der Hund zeigt im Grunde genommen das gleiche Ernährungsbedürfnis wie der Mensch. Eine abwechslungsreiche und gekochte Ernährung ist das A und O für ein gesundes Leben. Der Hund ist möglicherweise schon seit Hunderttausenden von Jahren unser Tischgenosse!
Der Hund wird zum Milchverwerter
Mit der Viehwirtschaft wurde der Hund zum Milchproduktekonsumenten. Mit dem Beginn der Viehhaltung mussten die Menschen sich auf diese neue Nahrung einstellen und entwickelten in Europa im Zuge der Milchwirtschaft die Fähigkeit, Laktose zu verdauen. Genetische Untersuchungen untermauern die geschichtlichen Quellen, die aufzeigen, dass auch der Hund seine Ernährungsgewohnheiten zusammen mit dem Mensch veränderte. Ernährte er sich bei den Jäger-Nomaden noch vorwiegend von Fleischprodukten, verlagerte sich bei den Vieh-Nomaden die Ernährung auf Milchprodukte. Selbst der Azawakh – ein Jagd- und Wachhund bei den Tuareg in Afrika – wird heute vorwiegend mit Ziegenmilch und Hirsebrei ernährt, also mit der gleichen Nahrung wie sein Mensch. Auch die Steppenhunde der Mongolei erhalten ihren Proteinanteil vorwiegend über Milchprodukte und ergänzen diesen durch die Jagd von Kleinnagern.
Der Azawakh der Tuareg wird heute vorwiegend mit Ziegenmilch und Hirsebrei ernährt.
(Foto: © Werner Röder)